Täuschung
Ichselbst und Gottselbst
Täuschung meint das Sich-Ausrichten, das Gefangensein im Vergänglichen. Man hält das ständig wechselnde Formenspiel für das Wahre, folgt ihm mit seinen Körpersinnen, haftet daran seine Gefühle und Gedanken, die dadurch ebenfalls der Wechselhaftigkeit unterliegen, keinen Halt bieten.
Den eigentlichen Halt, die eigentliche Sinnhaftigkeit im (Da-)Sein kann jedoch nur das in sich ruhende Innere sein, das erhaben und unbeeinflusst von allem Wechsel ist – das Gottselbst.
Die Außenwelt ist der Spiegel der eigenen Gedanken, Stimmungen und Gefühle, die dem Wechselspiel folgen und ihn halten wollen. Es ist so, als versuche man den Lauf der Zeit anzuhalten, festzuhalten – so als versuche man das Wasser in der Hand davon abzuhalten, zwischen den Fingern hindurch zu rinnen.
Die Unruhe des wild fließenden Gewässers ist bedingt durch die Unregelmäßigkeit der Höhen und Tiefen, die es durchströmt.
Still dagegen liegt der See auf ebenem Grund, tief und unergründlich steht er ruhig und schweigt ...
Halt fern dich von den Horden, die lärmend laut durch stille Gassen ziehen, geh deine Wege stet's allein auf abgelegenen, leisen Wegen, die sonst niemand kennt und zu denen Lärm nicht dringt.
(Alle folgenden Texte stammen von J.F.Finck, sofern nicht anders gekennzeichnet)
Gott selbst füllt alles aus, nichts ist ohn‘ seinen Geist;
Der Geist ist Wesenheit; das andere Welt nur heißt.
Die Welt kann in mir sein, ich nicht in aller Welt.
Der Unterschied mich noch von Gott getrennt jetzt hält.
Zufrieden macht mich nur die Wirklichkeit allein
In meiner Gottesseel‘. Das Außen ist nur Schein.
Das Ichselbst flutet, stürzt und wälzt sich, in Ufern eingeengt über Erde und Schlamm, Fels und Geröll, Gesträuch und Sand und alle Unreinheiten und Unheiligkeiten.
Das Gottselbst aber ist hindernislos, uferlos, grundlos und bewegungslos, frei von allen Unreinheiten und Unheiligkeiten, entspringend, ruhend und mündend im Meere der Heiligkeit.
Das Ichselbst schaut die Blume an und erlabt sich an deren Formentfaltung, Farbenbildnis und Duftausstrahlung.
Das Gottselbst schaut sich in der Blume, es ist der Genussspender, der Gestalter, das Leuchtende, der Lebensatem.
Der Missbrauch von Nadeln, Dornen, Dolchen und Schwertern ist nur dem Ichselbst bekannt.
Während das Gottselbst nie kränkt, schädigt oder verwundet, und alle vom Ich verursachte Verwundung heilt.
Das Ichselbst ist blind und sucht die Finsternis auf, und beklagt sich, nicht erleuchtet zu sein und das Licht zu kennen. Eine gerade Linie ohne Ende ist das Gottselbst und ein geschlossener Ring ohne Ecken.
Das Ichselbst lauert dem vermeintlichen Gewinn auf und versteckt sich vor dem drohenden Verlust. Mitleidig lächelnd sieht das Gottselbst diesen Gassenbubenstreichen zu.
Auch wird das Ichselbst von Furcht bewegt, wie der angekettete Kahn vom Wellenschlage. Das Gottselbst aber bildet den regungslosen Grund und die ständige Tiefe und die festen Uferwände.
Das Ichselbst ist es, das von Zweifeln umhergeworfen wird wie eine Fahne von den Launen des Windes. – Unverrückbar dient das Gottselbst als Fahnenstange, die ohne Wurzel und Krone festgewurzelt und hochgekrönt steht.
Überall bin ich zu Hause – Nicht aber in meinem Ichselbst, sondern in meinem Gottselbst.
Nichts ist mir fremd. – Doch nicht meinem Ichselbst; sondern durch das mir innewohnende Gottselbst ist kein Wesen und keines Dinges Wesen mir mehr fremd.
Alles ist aus mir hervorgegangen. Nicht aus meinem Ichselbst, sondern aus dem Einen Gottselbst, von dem nichts auf Erden mich trennt.
Wohin ich wandre, finde ich mich immer wieder selbst. – Aber nicht in meinem Ichselbst, sondern Gottselbst.
Ob mein Auge in einem Stern eine Welt erfasst, oder von einem aufgewirbelten Sandkorn verwundet wird – ich sehe mich in meinem Alleinsein und Ewigsein in Gott und Gott sieht Sich in mir.
Gott hält mir den Spiegel der Ewigkeit vor und ich Ihm den der Zeitlichkeit.
Wünschen, ersehnen, erhoffen, begehren, verlangen, erjagen und erbeuten, das alles tut das Ichselbst. – Doch das Gottselbst ist schon alles, besitzt darum alles und gibt alles.
Das Ichselbst beneidet, hasst, übervorteilt, verleumdet, ist missgünstig und schadenfroh. Das Gottselbst hat sich selbst vollkommen und gibt sich selbst vollkommen aus.
Das Ichselbst meint, glaubt, wägt, vermutet und spekuliert. – Das Gottselbst ist die Überzeugungskraft, die Gewissheit, das Vollbewusstsein und Selbstleben.
Das Ichselbst streitet noch, befeindet, bewuchert, schadet und bekriegt. – Das Gottselbst ist der Friede.
Das Ichselbst lügt. – Das Gottselbst ist die Wahrheit.
Das Ichselbst hat Kenntnisse. – Das Gottselbst ist die Erkenntnis.
Das Ichselbst ist die Ursache aller Unzufriedenheit, jeglicher Unzulänglichkeit und allen Unglücks. – Das Gottselbst ist die Vollkommenheit und das seligste Glück.
Alle Unruhe wird durch das Ichselbst hervorgerufen. – Gottselbst ist Ruhe.
Das Ichselbst irrt. – Das Gottselbst weiß.
Das Ichselbst forscht. – Das Gottselbst spendet.
Das Ichselbst sucht. – Das Gottselbst hat.
Das Ichselbst ist jede und alle Beschränkung. – Schrankenlos ist das Gottselbst.
Das Ichselbst ist zeitlich. – Das Gottselbst ist ewig.
In welcher Unfreiheit, in welchem Sklaventum und welcher Gesetzesschmachtung seufzt das Ichselbst!
Das Gottselbst ist alle Freiheit, Herrschaft, die Gesetzgebung und die Macht.
Das Ichselbst zehrt vom Menschenwissen – Das Gottselbst ist die Weisheit Gottes selbst
Das Ichselbst kommt und geht. – Das Gottselbst ist.
Zerstreue nicht dein Gut! Zieh‘ stille dich zurück,
Zum Tempel sammle dich; die Welt gibt dir kein Glück.
Ein Wildstrom ist all Tun, Beschaulichkeit die See.
In welchem Spiegel meinst, dass man Gott klarer seh‘?
Dir sei Vergeistigung der Hauptzweck dieses Lebens!
Lebst du nicht für den Geist, so lebst du ganz vergebens.
Wer in Gott lebt, ist mit allen Dingen und allen Geschöpfen unauflöslich verbunden und zu gleicher Zeit für immer losgelöst von einem jeden Dinge unter der Sonne und von jedem Geschöpfe, das von der Sonne lebt.
Das äußere Gehör vernimmt den Lärm der Welt, das innere die Stille der Seligkeit.
Das äußere Auge sieht den Schein der vergänglichen Erde, das innere die Wirklichkeit des Ewigen.
Nie ist eine Seele größer, reifer, leerer und daher erfüllter, als wenn sie einsam ist, einsam wie Gottes Seele, welt-, mensch- und ding-abgeschieden.
Darin ist die Menschenseele frag-los; denn sie und nur sie allein ist die einzige, bleibende und erschöpfende Antwort auf Gottes nie aufhörende Augenblicks- und Ewigkeitsfrage:
Wer bin ich und wer bist Du?