Schicksal
"Andres nicht sei dein Schicksal, als Gottes leitende Hand, dir!
Nie kann das feste Gesetz, das uns wunderbar formt, sich verändern!
Ordnung ist alles an uns, und zwecklos nicht das Geringste,
Auch das dient nur uns'rer Vollendung, was 'Schicksal' töricht wir nennen!"
(Lavater)
Vorbetrachtung
Mit dem Begriff "Schicksal" bezeichnet man in der Regel Unangenehmes, Unberechenbares. Es trifft einen plötzlich als Schicksalsschlag - man erleidet es, ohne einen Einfluss darauf zu haben - oder doch?Wer oder was soll dieses "Schicksal" sein? Sitzt da jemand, der eine Liste führt, wie er diesem oder jenem Menschen eine Lektion erteilen kann, ihn für irgendetwas strafen soll? Warum sollte eine solche Instanz existieren?
Ein solcher Art geführtes Leben ist ja im Grunde von Angst bestimmt und in gleichem Masse von Unfreiheit. Ist es nicht in Wahrheit so, wenn man genau hinschaut, dass das "Schicksal" immer nur die "willensschwachen" Menschen trifft? Trifft es nicht jene, die ihr Leben nicht - aus welchem Grund auch immer - selbst in die Hand nehmen und gestalten wollen?
Natürlich ist es einfacher und bequemer, die Verantwortung für eigenes Handeln abzugeben - an Vorgesetzte, Eltern, die Gesellschaft, die Regierung ... oder das Schicksal. Doch im Grunde webt sich jeder seine Schicksalsfäden selbst. Schicksal ist das Ergebnis eines über viele Leben hinweg erworbenen Karma, dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Es ist die Ernte, dessen was man gesät hat. Durch das was man heute sät, bestimmt man die Ernte des Morgen.Erst, wenn alles geerntet und das Saatgut aufgebraucht ist, endet der Kreislauf, verlässt man das Rad der Wiederkehr.
Alles ist vom Weltgeist geführt und gefügt.
"Diese Führung und harmonische Zusammenfügung aller Einzelgeschicke zum universalen Weltentwicklungsgang offenbart sich bis ins kleinste persönliche Geschehen." (KOS)
Zur falschen Zeit am falschen Ort?
Geschieht jemandem irgendein Missgeschick oder gar ein Unglück, so sagt man "Er oder Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort!"
Wer tiefer blickt, erkennt: man kann immer nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Alles Geschehen ist sinnhaft und sinnvoll. Alles Geschehen ist Folge des Gesetzes von Ursache und Wirkung, des Ausgleichsgesetzes. So ist alles Geschehen miteinander und ineinander verwoben.
Unglücke, die einem Menschen widerfahren (Unfälle oder Krankheiten usw.) passieren niemals "zufällig" in Sinne von unvorhersehbar und sinnlos. Es ist vielmehr so, dass jedem, die für ihn in einer bestimmten Entwicklungsphase (=Zeitortpunkt) die zugehörigen Ereignisse "zu-fallen", so wie reife Früchte vom Baum fallen. Diese Ereignisse sind Auslösungen reif gewordenen Karmas, einer Schicksalsernte. Dieses Karma an sich ist frei von den Wertungen (gut oder schlecht), die einzig den vorherrschenden menschlichen Einstellungen zum Leben entspringen.
Jeder will Leiden vermeiden und doch können die meisten nur durch Leiden sich weiter entwickeln, ihre gewohnten Bahnen verlassend um neue Entwicklungswege zu gehen…wenigen mag dies durch Einsicht gelingen …Der Grundirrtum entspringt der Annahme die sinnlich wahrgenommene Welt sei "alles" und die sinnlichen Genüsse das Wesentliche. Ein solches Leben ist leer und im Grunde ein dumpfes Dahinvegetieren und vor allem: völlig sinnlos, da es sich ja - nach vorherrschender Überzeugung - nur im Intervall zwischen Geburt und Tod abspielt.
Der Tod löscht dies - der Logik dieser Sichtweise konsequent folgend - alles in einem Moment aus, weshalb ihn jeder fürchtet und verdrängt. Es ist der unerbittliche Abgrund, dem sich jeder so denkende mit jedem Atemzug unaufhaltsam nähert.
Dieser Gedanke, diese Aussichten müssen doch im Grunde jeden, der eine Zeit lang darüber nachdenkt am Leben irre werden lassen ...
Eben dieses Nachdenken, wird aber irgendwann die Erkenntnis und Einsicht reifen lassen, dass alles im Universum und somit alle Ereignisse, neben den bekannten Naturgesetzen, den Lebensgesetzen unterliegen.
Die wichtigsten Gesetze sind neben der Tatsache der "Einheit allen Seins" (alles besteht aus dem gleichen Urstoff, der "Energie") das "Gesetz der Höherentwicklung allen Seins" und das damit verbundene "Gesetz von Ursache und Wirkung", und dem daraus folgenden "Ausgleichsgesetz".
Alle Gedanken, Gefühle, Taten weben das Netz des Karma - einen Weg des Leidens und Lernens oder des Lernens mit seinen verschiedenen Lernaufgaben.
Leiden ist nichts weiter als Reibung zwischen dem, was das Gesetz der Höherentwicklung "will" und dem was das menschliche ICH "will" – dem „Irrwahn des Sonderseins“. Schopenhauer definiert es als „Durchkreuzung des Willens“.
Je mehr ich nun dem Ganzen mich einordne, diesem diene, desto kleiner wird mein Ichwille und desto geringer die Reibungen und somit das von mir empfundene Leid. Die Lernaufgaben sind nun in jedem Leben, dass man einer Schulklasse vergleichen kann, eine andere. Definiert bzw. ersichtlich sind diese im Geburtshoroskop und somit in ihrem Wesen erkennbar und in ihrem Ablauf (ihrer zeitlichen Auslösung) deutbar. All dies ist über den Zeitpunkt meiner Geburt und den Geburtsort festgelegt in seinem strukturellen Verlauf, nicht in den Details, da ich ja die Ereignisse durch meinen Willen in einem gewissen Rahmen beeinflussen und lenken kann.
Spätestens hier wird dann deutlich: "Jeder ist immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort."
Alles Geschehen unterliegt Gesetzen und ist sinnhaft.
Der da oben!
Oftmals kann man beobachten, dass Menschen bei schicksalhaft empfundenen Ereignissen (überwiegend bei für sie angenehmen Ereignissen) mit dem Zeigefinger nach oben, zum Himmel zeigen und nach oben blicken. Möglicherweise hängt dies zusammen mit der Redewendung: „Alles Gute kommt von oben.“ Die Grundannahme ist hier: „Da oben sitzt jemand, der über das – bzw. mein – Schicksal wacht und mich belohnt oder bestraft.“ Doch das ist ein Irrtum, der kleinmenschlichem Denken entspringt und im Grunde selbstsüchtiger Natur ist.
Doch: Da oben ist niemand!
Juri Gagarin, ein russischer Kosmonaut, soll ja gesagt haben: "Ich bin in den Weltraum geflogen, aber Gott habe ich dort nicht gesehen." Im Grunde ist es ja albern, sich Gott als einen alten bärtigen Mann vorzustellen, der auf einer Wolke durch den Weltraum schwebt. Was für ein erbärmlicher Gott wäre dies …!? Gott steht nicht außerhalb des Universums und bedient dieses wie eine Maschine - oder wie Goethe es ausdrückt:
"Was wär ein Gott,
der nur von außen stieße,
im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
so daß, was in ihm lebt und webt und ist,
nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt."
Ebenso so unrichtig ist die Vorstellung von Himmel und Hölle im Sinne konkreter Orte (wie sie z.B. in den Gemälden von Hieronymus Bosch so eindrücklich dargestellt sind).
Das sind sie nicht. Es sind Zustände seelisch-geistiger Art. Jeder schafft sich seinen Himmel und seine Hölle selbst - in sich! Um sich dem göttlichen Wesen und Wirken anzunähern sollte man von diesen begrenzten Bildern weggehen und abstrahieren.
Daher scheint mir der Begriff „Weltgeist“ hier weniger irreführend, da er die Vorstellung eines personalisierten Gottes nicht in sich birgt und gar nicht als Gedankenbild aufkommen lässt. Dieser Weltgeist ist die oberste erste Ursache, ein „lebendiger Geist, der das All bewegt und sich hinter dem sichtbaren Kosmos verbirgt“ (KOS), der lediglich die Auswirkung seiner Manifestation ist.
Der Begriff „Religion“ meint die innere Verbindung zu dieser obersten ersten Ursache, dem Urgrund. Je nach Entwicklungsgrad des Menschen hat diese „Religiosität“ oder Verbindung mit dem Weltgeist, verschiedene Grade (frei übersetzt nach Franz Hartmann):
Der höchste Grad ist die Einheit des Menschen mit der obersten ersten Ursache, aus der sein Wesen im Uranfang hervorging.
Der mittlere Grad sieht lediglich die Verbindungen zwischen dem Urgrund und dem Menschen, die Verbindung zwischen Mikro- und Makrokosmos. Der untere Grad schließlich zeigt sich in der Verherrlichung oder Verehrung toter Formen, der Verehrung von Fetischen, oder den fruchtlosen Versuchen von einer imaginären Gottheit persönliche Begünstigungen zu erbetteln, egoistische Motive sind hier ausschlaggebend.
Auf dieser Stufe steht die „Der da oben“ – Geste.
Es gibt ja keine Begünstigungen, Belohnungen oder Strafen – es gibt lediglich Lernaufgaben, die dem Ziel der Höherentwicklung zur obersten Stufe der Religiosität, zur Erkenntnis der Einheit allen Seins, die primär geistiger Natur ist.
Die richtig verstandene Geste würde auf das Herz verweisen: "Der da drinnen!"