Sinn im Dasein
Hinführung
"Die Welt ist ein Spiegel, worin ein jeder nur die eigene Seele sieht." (Isolde Kurz)
"Die Musik der Quelle wird von der Seele innen vernommen..." (Edward Bulwer-Lytton)
"Ein Reisender bin ich und ein Seefahrer, und jeden Tag entdecke ich einen neuen Landstrich meiner Seele." (Khalil Gibran)
"Denn welches Sterbliche Auge mag des Unsterblichen Gang, der sich verhüllet, entdecken?" (Homer, "Odyssee")
"Ich sehe mich in jedem Augenblick gezwungen, einen höheren Ursprung des Geschehens anzuerkennen als den Willen, den ich den meinen nenne." (Emerson)
"In jedem Menschen, in jedem Individuum betrachtet sich eine Welt, ein Universum." (Giordano Bruno)
Lebenswerte
Was ist "Normalität"?
Es hat jeder eine Vorstellung von Normalität. Dies ist ein Rahmen, aufgespannt von bestimmten Werten, erwartetem Verhalten, der Lebensführung und vielleicht auch dem Aussehen ihm begegnender Menschen, nach dem er diese bewertet und einordnet. Typische Werte unserer Zivilisation, unserer Gesellschaft sind: Schulausbildung, Berufsausbildung, berufliche Karriere, Familie, ein Haus, ein Auto, eine sichere Rente, gut gelungene Kinder, Gesundheit … Aus diesen Koordinaten und deren weitestgehender Erfüllung ergibt sich auch die Definition von Erfolg, neben der von „Normalität“ entsprechend jener Norm. Nun entspringt aber dieser Bewertungsrahmen einer sehr begrenzten Sicht auf die Welt und die darin lebenden Menschen. Weitet man jedoch diesen Blick, gepaart mit geistiger Offenheit und Unvoreingenommenheit und betrachtet all die Menschen, die einem begegnen, die man kennt oder von denen man hört, so ergibt sich zwangsläufig ein völlig anderes Bild.
Dies gelingt umso besser, wird umso klarer, je mehr Menschen man in einem Zeitintervall begegnet, etwa das Gewimmel an einem großen Bahnhof betrachtend. Man findet keine zwei Menschen, die gleich aussehen, sieht Menschen vieler Nationalitäten und Altersstufen. All ihre Lebenslinien laufen an diesem Punkt zeitweise zusammen und wieder auseinander. Jeder hat eine andere Geschichte, einen anderen Lebensweg, andere Gedanken, andere Gefühle, eine andere Sprache, andere Lebenserfahrung.
Das, was sie in diesem Zeitintervall verbindet ist das Reisen, egal woher, egal wohin, egal wie weit. Für viele dieser Menschen gehört das Reisen zu ihrer „Normalität“. Doch was ist mit all den anderen, die nicht am Bahnhof sich aufhalten, die zu Hause sind, die arbeiten, die im Krankenhaus liegen, die auf der Straße leben.
Man sieht auch am Bahnhof viele hässliche und ebenso schöne Menschen, junge und alte Menschen, arme Menschen am Rande der Gesellschaft, wie wohlhabende …
Ist man beruflich viel mit „erfolgreichen“ Menschen zusammen, mit geradlinigen Biografien gemäß den obigen Werten der Zivilisation oder Gesellschaft, befindet man sich in einer trügerischen Nische, einem begrenzten Ausschnitt der Lebensfülle, welche die Negation ihrer Werte ausblendet und somit in einer Scheinrealität lebt.
Menschen mit Behinderungen oder Missbildungen, solche, die auf der Straße leben, Drogensüchtige, Arbeitslose bezeichnet man als „arme“ Menschen. Man will sie aber möglichst nicht sehen, da man ja die Schattenseiten ausblendet um auf der Sonnenseite zu leben. Hinzu kommt natürlich immer der Grundsatz „Man lebt nur einmal oder man hat nur ein Leben und …“, ja das UND ist das Bindeglied zum illusorischen Wertesystem. Wer auf der Schattenseite steht und lebt, hatte dann schlechte Eltern, schlechten Umgang, ist schwach, dumm, faul - hat schlechte Gene oder was auch immer.
Die Frage nach dem Sinn stellt sich da gar nicht, da ja alles von äußeren Faktoren bestimmt ist oder von einem selbst, seinem Ich, abhängig – nur solange es „gut“ ist, selbstverständlich. Das Schlechte kommt immer von außen.
Nun ist dieses „ICH“ aber kein fester Punkt, der sich zielgerichtet seinen Weg durchs Leben bahnt. Es ist wandelhaft, unterliegt Stimmungsschwankungen, Fremdeinflüssen von niederen, wie von höheren Impulsen – Kontinuität hat es nicht, wie ein jeder durch Selbstbeobachtung herausfinden könnte, so er es denn täte. So gibt man sich der Illusion des ICH, ICH habe, ICH bin, ICH mache … hin.
Der Vielfalt des Lebens, der menschlichen Erscheinungsformen und ihren unterschiedlichen inneren Antriebskräften wird man dadurch nicht bewusst. Man orientiert sich an einem diesem lebendigen Gewimmel des Lebens übergestülpten Erfolgssystem und zwängt seine Beobachtungen und Wahrnehmungen in dieses enge Korsett. Sinn gibt es da nicht, nur Schema – Methodenautomaten anstelle lebendiger Menschen!
Was bedeutet "Erwachsensein"?
Ein weiterer Begriff, der hier mitspielt ist der des Erwachsenseins. Was heißt das?
Ist es eine gewisse körperliche Reife, gebunden an ein bestimmtes Alter?
Ist es seelische Reife? Was heißt das? Was ist „Seele“ überhaupt?
Eine geistige Reife, Bildung gar? Ist man erwachsen, wenn man heiratet, Kinder zeugt, beruflich „fest im Leben steht“? Hat es überhaupt mit dem Wirken im Leben, im materiellen Erfolgssinn zu tun? Ist es nicht eher die Fähigkeit die Folgen seines Tuns auf andere abzuschätzen, Verantwortung für sein Verhalten und Denken zu empfinden?
Ist es Leidensfähigkeit, Mitgefühl, Kontinuität, Rücksichtnahme im Sinne eines „Nicht-auf-den-eigenen-Vorteil-Bedachtseins“?
Was ist Dummheit?
Für die meisten entweder schlechte schulische Leistungen oder ein Verhalten, das nicht auf den eigenen Vorteil bedacht ist – also das Gegenteil von klug, schlau oder intelligent. Macht mich eine „gute“ Schulbildung zu einem besseren Menschen? Macht das „Reifezeugnis“ mich reif -wozu, in welchem Sinne? Macht es mich frei von Selbstsucht oder befördert es gerade diese? Sind nicht viele der großen der Menschheit, seien es nun Techniker, Schriftsteller, Künstler, Erfinder, Entdecker ohne „gute“ Schulbildung groß geworden oder gerade deswegen? Stammten nicht viele von diesen aus „schlechten“ oder „armen“ Verhältnissen?
Fragen über Fragen.
Was es braucht ist ein Wertesystem, das wertungsfrei ist, das die Dinge so nimmt wie sie sind, das vorurteilsfreien Raum für die Vielheit des Lebens und der Menschen hat. Es gilt jeden so zu sehen und anzunehmen, wie er ist, in seinem Sosein und Anderssein und in seinem Sinn im Daseinssinn.
Dieses ist die schwerste Übung für einen jeden Menschen – doch die einzige, die lohnt!
So soll in den folgenden Kapiteln das Leben, seine Formen, Ordnungen und Werte und vor allem sein SINN betrachtet und ergründet werden!
Seelenblicke
Seelenblicke sind Blicke mit den inneren Augen der Seele, die hinter dem Schleier der vergänglichen Welt das Wesentliche, das Wirkende, weil Wirkliche erkennen. Gekleidet ist dieses innere Sein in äußere Formen, in Scheingewänder, die inneres Geschehen auf der Bühne der Welt darstellen. "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis", wie Goethe treffend sagt.
Das Gleichnis, wie das Symbol sind Wege, die zum Wesen der Dinge hinführen. In diesem Sinne stelle ich hier eigene Beobachtungen zusammen, deren seelische Wahrnehmung ihr unvergängliches Wesen im vergänglichen Geschehen erfassen soll.
Die Seele ist die Wahrnehmungsbrücke von der sinnlich wahrgenommenen vergänglichen Erscheinung zum dahinter wirkenden unvergänglichen Sein, zum Wesenskern.
So geht es hier letztendlich darum, "in allen Dingen das Vergängliche vom Unvergänglichen, das Wesen von der Erscheinung, die Ursache von der Wirkung unterscheiden zu lernen, das ist die erste Bedingung um zur Selbsterkenntnis und zur Wahrheit zu gelangen." (Sankaracharya)
Wie erschließt sich der Sinn des Daseins?
"Wohl denen, die vom äußeren Schein zum inneren Sein fanden! Sie haben mitten in der Welt des Vergehens und Entwerdens das Unvergängliche gefunden und werden hinfort sicher gehen." (Fra Tiberianus)
Menschen gruppieren sich meist zu Gleichgestimmtengruppen, die bestimmte und immergleiche Gespräche führen, Informationen austauschen.
Dieser Vorgang ist vergleichbar dem Zusammenschluss chemischer Elemente aufgrund ihrer Bindungseigenschaften.
Als neutraler Beobachter hört man die im Grunde immer gleichen Gesprächsflüsse, die wie abgespult wirken, eine substanzlose Aneinanderreihung von Sinneseindrücken, daran haftender Gedanken und Affekte.
Vor einiger Zeit war ich wieder einmal Zeuge eines dieser Gespräche:
Es ging um das Thema „Urlaub“. Es fielen die beiden Begriffe "Neuseeland" und "Fidschi-Inseln", die der Redende wohl zu besuchen beabsichtigte.
Im Grunde handelt es sich hier um Worte, Bezeichnungen für Landschaften, als solche lediglich typische, jedoch wertneutrale Charakterformen bestimmter Gebiete auf der Erde.
Daran haftend sind Sinneseindrücke, Sehnsüchte, Wünsche und das Bestreben das Gegenüber zu beeindrucken, also rein selbstsüchtige Bezüge und Motive.
All diese Eindrücke sind vergänglicher Natur, verblassend mit der Zeit, weshalb sie ständig aufgefrischt, mit neuer Energie geladen werden müssen durch noch exoterische Zielsetzungen.
Folgende Fragen und weiterführende Gedanken treten hierbei unmittelbar in mein Bewusstsein:
Was bringt mir der Besuch eines solchen "exotischen" fernen Ortes?
Führt dieser "Urlaub" zu Irgendetwas, das über die rein sinnliche Wahrnehmung, die Stimulation der Sinne und die daran geknüpften "Wohlgefühle" hinausgeht?
Bringt eine solche Erfahrung tiefere Erkenntnisse über das Dasein und dessen Sinn - für mich und im Allgemeinen?
Geht es hier nicht vielmehr um Konsum, das Aufnehmen von Ereignisnahrung, die einen inneren Drang befriedigt, eine Leere füllen soll?
Ist nun die darüberhinausgehende Daseins-, Selbst- und Sinnerkenntnis nicht der eigentliche Zweck jeglicher menschlichen Erfahrung, des Daseins überhaupt?
Schweigen, langes Schweigen und Unverständnis wäre die Reaktion auf solche Fragen.
Aber eben das Fehlen dieser Erkenntnisbrücke, die Verbindung zu Wesen und Urgrund der Dinge, des Seins, ist das Problem - denn so werden lediglich Erlebnisse und Eindrücke aneinandergereiht und gewichtet, der eigentlich verbindende Faden wird nicht wahrgenommen.
Der nach Tiefenerkenntnis Strebende verzweifelt schier an solchen Gesprächsflüssen an dieser Substanzlosigkeit und steht allein, allein und unverstanden!
Doch wie soll man einem Blinden das Sehen beschreiben, die Farben und Formen, das Licht...? Der Blick der meisten Menschen ist auf die sinnlich erfahrbare Außenwelt gerichtet und sieht die tieferen Zusammenhänge, den Sinn des Daseins nicht.
Die Entwicklung der Wissenschaft und ihrer Erkenntnisse bewegen sich prinzipiell auf der gleichen Ebene.
Waren die "alten Wissenschaften", wie z.B. die Astrologie (im Sinne von Astrosophie verstanden) noch eingebettet in ein übergeordnetes Weltbild und sahen in der materiellen Erscheinungswelt nur Ausdrucksformen jener, so ging die Naturwissenschaft von den sinnlich wahrnehmbaren, messbaren und intellektuell kategorisierbaren Beobachtungen aus. Eine großartige Leistung zweifellos!
Man kann sich dies an der Beobachtung der Planeten des Sonnensystems und dem dahinter sich ins Endlose erstreckenden Sternenhimmel verdeutlichen.
Unterscheiden muss man hier zwischen der rein subjektiven Beobachtung, die davon ausgeht, dass die Erde der Mittelpunkt des ganzen Systems ist, eben weil der Beobachter auf der Erde steht und die Planeten um diese kreisen sieht.
Man sagt ja auf diese Perspektive gestützt: "Die Sonne geht auf oder sie geht unter.“. Diese Perspektive nennt man das "geozentrische" oder "anthropozentrische" Weltbild.
Kopernikus zeigte, dass diese Wahrnehmung objektiv falsch ist. Er beschrieb kreisförmige Bewegungen der Planeten und die im Zentrum befindliche Sonne, das "heliozentrische Weltbild“.
Kepler hat diese Erkenntnis erweitert oder verfeinert dahin, dass er die Kreise, die ja Ausdruck einer Harmonie sein sollten, zu Ellipsen korrigierte.
Newton fügte die Gravitation als treibende Kraft hinzu und beschrieb die Bewegungsgesetze.
Einstein erweiterte dieses Bild durch seine Erkenntnisse über das Raum-Zeit-Gefüge, die Raumzeit, das Wechselspiel zwischen Raum und Zeit und die Relativität der Zeit.
So nahm und nimmt stetig der Beschreibungsrahmen des Beobachteten zu, bettet jegliche Beobachtung ein in ein System naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit.
Doch scheint es mir so, dass sich diese Art des Beobachtens, Messens und Interpretierens in eine Sackgasse verläuft und den Bezug zum Lebendigen aufgrund seiner Abstrahierung der Beobachtungen verliert.
Alle Wissenschaften der vergangenen vier Jahrhunderte "sind in die Sackgasse eines intellektuellen Materialismus geraten ... eines gegenständlich veräußerlichten Bewusstseins", das den Wesenskern des Seins verhüllt.
Vor allem muss man eines erkennen: All diese Erkenntnisse haben auf das alltägliche Leben des Menschen mit seinen Freuden, Sorgen und Ängsten, den Aufgaben, die das Leben an ihn stellt keinerlei Bezug.
Für mein tägliches Leben ist es belanglos, ob sich die Sonne um die Erde dreht oder umgekehrt. Es ist belanglos, dass die Gravitation Grundlage der Planetenbewegung ist usw.
Ich stehe auf der Erde, in meiner Lebenssituation mit ihren Herausforderungen und verzweifle oftmals an diesen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse bieten mir keinerlei Halt und vermitteln auch keinerlei Sinn des Geschehens um mich herum und geben mir keine sinnhafte Stellung darin.
Wo kommt das Universum her, warum ist es entstanden, was ist sein Ziel? Wozu der Mensch? Diese Fragen sind nach wie vor unbeantwortet.
Alle esoterischen Lehren gehen grundsätzlich von einem höheren Sinnzusammenhang aus, erklären wo all die Welten und Wesen herkommen und wohin sie gehen und betten den Menschen sinnhaft darin ein.
Doch muss man hier einen entscheidenden Erkenntnis- und Entwicklungsschritt tun: Offenheit und Abkehr von dem sinnlich (naturwissenschaftlich) beweisbaren, das eine beschränkte Sicht darstellt.
Man muss innehalten in diesem Sinnenkarussel und die Ruhe und Stille in sich wirken lassen, das nach außen gerichtete Denken zum Schweigen bringen, nur so ist tiefere Daseinserkenntnis möglich. Man sehe sich nicht als Ansammlung von Atomen als rein sinnengesteuerte Apparatur, die eingeschaltet und wieder ausgeschaltet wird.
Man erkenne, dass nicht die Materie, sondern etwas ihr Übergeordnetes das eigentlich Steuernde ist.
Dieses ist nicht etwas vom Beobachteten Getrenntes, sondern allem Sein innewohnend ...
Wesentlich geht es darum "den gesamten Kosmos als geistlebendigen Organismus, nicht als tote Werkwelt" zu erleben, "den Menschen als Mikrokosmos, als Spiegelbild des Makrokosmos".
Zu erkennen: "Weltall und Mensch entsprechen einander in lebendig-geistigem Zusammenhang. Weltall und Mensch sind Abbild Gottes, der alles Sein schöpferisch durchdringt, erhält und seiner Vollendung entgegenführt..."(Arthur Schult)
Wahres und unwahres Leben
"Gibt es ein wahres und ein unwahres Leben? Ja und Nein! Für den einen ist es ein ganzes Ja, für den anderen ein ganzes Nein.
Es kommt darauf an, wie weit unsere Anschauung reicht, wie weit unsere Entwicklungserkenntnis geht, um Persönliches vom Unpersönlichen, das Unpersönliche vom Überpersönlichen zu unterscheiden.
Der kürzeste Blick wird nur ein Daseinsleben, und zwar das der uns umgebenden Erscheinungswelt, sehen, und es wird sich ihm dasselbe, materiell geschaut, als das allein wahre präsentieren. Doch befindet sich ein solcher kurzsichtiger Seher noch im Irrtum. Denn es gibt zweifellos weitergehende, durchdringendere Blicke, die das Erden-Sinnenleben als ein unwahres empfinden und denken.
Aber auch dieser Aspekt ist eine bloße Anschauung, und daher noch dem Irrtum unterworfen.
Wenn dagegen die Selbstschau, die Insichschau, beginnt und wenn im Innern Täler, Tiefen und Höhen erforscht und überall Erfahrungen gesammelt sind, hat sich der Einblick in die Wahrheit geschärft und großgemacht."
(J.F. Finck)
Orientierung im Dasein
Ich war Ohrenzeuge eines Gesprächs von Schülern, die sich über berufliche Perspektiven informierten.
Von ihrer Schule hatten sie eine Art Fragebogen, den sie, wie man das als Schüler tut, fragend abarbeiteten mit einem Abteilungsleiter:
„Kann man den Beruf auch mit Realschulabschluss ausüben oder braucht man Abitur?“
„Wiegt ein guter Realschulabschluss mehr als ein mittelmäßiges Abitur?“
„Ja, ein Realschulabschluss mit Eins ist besser als ein Abitur mit Drei…“
„Ich war in der Schule nicht so gut, habe aber studiert.“
„Dieser Beruf ist zukunftssicher – Digitalisierung …“
„Heute hat man ja alle Möglichkeiten …“.
„Meine Kinder sind auf dem Gymnasium, damit sie später die Möglichkeit haben Jura oder Medizin zu studieren …“
Was zeigen diese Gesprächsfragmente?
Nun, ich denke, sie zeigen die Schematisierung des Lebens, seine Reduktion auf schulische oder berufliche „Erfolge“ oder scheinbare Wege zum Erfolg.
Diese Sicht auf den Erfolg zielt auf finanzielle Sicherheit, auf jenen Lebensentwurf, der darauf abzielt sich ein Auto zu kaufen, ein Haus zu bauen, Karriere zu machen, Kinder zu zeugen und diese in eben jenem Geiste aufzuziehen …
Das immer gleiche Muster!
Doch wo sind hier die Grenzwertbetrachtungen, die Einbeziehung des Lebens in seiner Unberechenbarkeit, des Lebendigen, das schöpferisch und immer neu ist, in jedem Augenblick?
Wo ist der Tod, der alles in Frage stellt, alles nimmt?
Wo sind die Lebenskrisen und Herausforderungen des Lebens durch Extremsituationen?
Wo das Lernen am oder durch das Leben?
Wer nun einen weiten, sehr weiten Blick auf das Leben wirft, erkennt doch Folgendes:
Das „Leben“ ist nicht gefangen in dem Intervall zwischen Geburt und Tod, es ist allgegenwärtig und ewig, grenzenlos, in allem und durch alles wirkend.
Es gibt ein „Davor“ und ein „Danach“ und vor allem einen Sinn, der alles durchzieht – eine unsichtbare Schnur, an der sich all die Ereignisperlen aufreihen von Ewigkeit zu Ewigkeit, im Ewigen.
Wieso bin ich das was ich bin, wieso bin ich in dieser spezifischen Lebenssituation, wieso habe ich diese Eltern, diesen Körper, diese Fähigkeiten?
Welchen Sinn haben Geburt und Tod?
Wo komme ich her, wo gehe ich hin?
Bin ich geboren, um beruflich erfolgreich zu sein, satt und zufrieden?
Warum ist dies bei vielen anderen nicht so? Sind sie Versager, haben sie die falsche Schule besucht und sind deshalb zum Scheitern verurteilt?
Ich sah heute einen jungen Mann mit schwerer körperlicher Behinderung, die sich derart äußert, dass er keine rechte Kontrolle über seinen Körper hat, sein Gehen wirkt unkonditioniert, verzerrt, mühsam, seine Gliedmaßen gehorchen ihm nicht … Und doch ging er einen sehr steilen Weg hinauf und erreichte sein Ziel, wohl mit äußerster Mühe und äußertem Willen! Und er hat es geschafft!
Was ist dagegen ein Schulabschluss, der doch nicht mehr ist als ein Stück Papier, auf das man sich wer weiß was einbildet?
Was ist beruflicher Erfolg, Geld, ein Auto, ein Haus – nimmt der Tod dies nicht alles?
Wieviel mehr wiegt da ein Wille, der Widrigkeiten überwindet, Ziele ansteuert, trotz immenser Hindernisse!
Kein Schulabschluss macht aus mir einen besseren, moralischen Menschen, wenn ich nicht moralisch bin.
Warum lässt man sich von selbstsüchtigen Motiven leiten, zielt nur auf Sinnenbelustigung und Bequemlichkeit?
Wo ist die Selbstlosigkeit im Sinne von Ichlosigkeit – sie ist verkommen zu einer Aufgabe, die man abhakt, die man nicht innerlich erlebt und ist!
Man spendet, um sein Gewissen zu beruhigen und meint etwas Gutes getan zu haben – für wen jedoch … letztlich doch immer für sich selbst!
Welchen Platz, welchen Stellenwert hat die Mystik in dieser Welt?
Warum ist niemand zu tiefen, wesenhaften Fragen fähig?
Sinnfindung ist zum Konsumgut verkommen – keiner sucht ihn in sich selbst, ausgehend von seinem Leben, das Leben und seinen Sinnzusammenhang zu erforschen, tut niemand.
Wer wahrhaft weiter zu blicken vermag ist zwar in dieser Welt, fühlt sich jedoch völlig fremd, als sei er nicht von dieser Welt des Vergänglichen … Geistige Blindheit und Dunkelheit sind die gegenwärtig vorherrschenden Kräfte.
Anstatt das Wesen, den Sinn zu erkennen, betrachtet man die Äußerlichen Formen. Man ist wie der Schauspieler, der seine Rolle für real hält und nicht erkennt, dass sie ihm lediglich „zugeschrieben“ wurde, von dem der das Stück verfasst hat …
Die dem Lebensdrama zugrundeliegende Tragik hat einen äußerlichen, sowie einen innerlichen Aspekt. Sie kann einmal sein von außen an den Menschen herantretendes Schicksal, das ihn formen und fordern will und ihn oft in tiefste Verzweiflung führt. Diese Verzweiflung ist jedoch lediglich als äußere Herausforderung zu verstehen, die es zu meistern gilt. Es ist eine Frage, auf die man antworten muss. Innere Tragik bezieht sich auf das Seelenleben des Menschen, der dadurch bildend auf seine Umwelt einwirkt, diese formt und in dieser Form steht sie vor ihm, tritt ihm entgegen als Frage, die es zu beantworten gilt.
Alle Äußerlichkeiten der Rolle, Kleidung, Umgebung, soziale Stellung sind nur Beiwerk und Ausdrucksträger, jedoch nicht das Wesentliche – das ist immer der Mensch!
So kann man beide Aspekte der Tragik nicht trennen.
Ziel tragischen Geschehens ist jedoch nicht der Untergang. Es ist die tiefste Verzweiflung, der neuer Mut entwächst, der das Schicksal formend umgestaltet,
Seele und Außenwelt wieder harmonisiert, den Menschen höher führt und veredelt, Blei zu Gold macht!
Unter diesem Aspekt muss man das Leben eines jeden Menschen betrachten!
Ichselbst und Gottselbst
"Das Ichselbst ist blind und sucht die Finsternis auf, und beklagt sich, nicht erleuchtet zu sein und das Licht zu kennen. - Eine gerade Linie ohne Ende ist das Gottselbst und ein geschlossener Ringe ohne Ketten.
Das Ichselbst lauert dem vermeintlichen Gewinn auf und versteckt sich vor dem drohenden Verlust. - Mitleidig sieht das Gottselbst diesen Lausbubenstreichen zu..
Auch wird das Ichselbst von Furcht bewegt, wie der angekettete Kahn vom Wellenschlage. - Das Gottselbst aber bildet den regungslosen Grund und die ständige Tiefe und die festen Uferwände.
Das Ichselbst ist es , das von Zweifeln umhergeworfen wird wie eine Fahne von den Launen des Windes. - Unverrückbar dient das Gottselbst als Fahnenstange, die ohne Wurzel und Krone festgewurzelt und hochgekrönt steht."
(J.F. Finck)
"Das Ichselbst ist die Ursache aller Unzufriedenheit, jeglicher Unzulänglichkeit und allen Unglücks. - Das Gottselbst ist die Vollkommenheit und das seligste Glück.
Alle Unruhe wird durch das Ichselbst hervorgerufen. - Gottselbst ist Ruhe.
Das Ichselbst irrt. - Das Gottselbst weiß.
Das Ichselbst forscht. - Das Gottselbst spendet.
Das Ichselbst sucht. - Das Gottselbst hat.
Das Ichselbst ist jede und alle Beschränkung. - Schrankenlos ist das Gottselbst.
Das Ichselbst ist zeitlich. - Das Gottselbst ist ewig.
In welcher Unfreiheit, in welchem Sklaventum und welcher Gesetzesschmachtung seufzt das Ichselbst!
Das Gottselbst ist alle Freiheit, Herrschaft, die Gesetzgebung und die Macht.
Das Ichselbst zehrt vom Menschenwissen. - Das Gottselbst ist die Weisheit Gottes selbst.
Das Ichselbst kommt und geht. Das Gottselbst ist.
(J.F. Finck)
"Zerstreue nicht dein Gut! Zieh' stille dich zurück,
Zum Tempel sammle dich; die Welt gibt dir kein Glück.
Ein Wildstrom ist all Tun, Beschaulichkeit die See.
In welchem Spiegel meinst, dass man Gott klarer seh'?
Dir sei Vergeistigung der Hauptzweck dieses Lebens!
Lebst du nicht für den Geist, so lebst du ganz vergebens."
(J.F. Finck)
Lebensantrieb
Welche ist die Kraft, die Menschen bewegt, jeden Morgen wieder aufzustehen und ihr Tagwerk anzugehen?
Was treibt sie an oder was zieht sie an, zieht sie in jeden Lebenstag?
Nehmen wir als Ausgangspunkt das Sosein im Jetztsein eines Menschen - seine gesamte seelische, geistige und körperliche Situation oder Befindlichkeit an einem beliebigen Morgen, an dem er erwacht. Es liegen Ereignisse und Erfahrungen hinter ihm, die seinen aktuellen Zustand, seine seelische Gestimmtheit, seinen körperlichen Gesundheitszustand, sowie seine Gedankenwelt vorprägen.
Es liegen ebenso Ereignisse und Erfahrungen vor ihm, belastet im seelischen, wie gedanklichen (geistigen) durch Hoffnungen, Wünsche, Pläne, Ängste.
Das Vergangene ist abgeschlossen, unveränderlich, das Künftige, Kommende noch formbar - es ziehen somit Vergangenheit und Zukunft an der Gegenwart. Ohne den Vorwärtszug der Zukunft, gäbe es keine Bewegung und somit keine Entwicklung. Allerdings zielt man hier auf unscharfe Ziele, da diese im Werden begriffen sind, noch wolkenhaft. Gefühlsausschläge verwackeln darüber hinaus den Arm des Schützen, der den Bogen hält. Die Last der Vergangenheit macht den Arm schwer und schwächt den Zielwillen, durch den Zug nach hinten und die Last des Vergangenen.
Soviel zu den zerrenden Wirkkräften...
Die Prägung des Gegenwärtigen, also des Zustandes in dem ich morgens erwache, ergibt sich aus dem, was zeitlich davor liegt und dem, was zu tun ist, bzw. was als Zielabsicht vorhanden ist.
Nun kann die Prägung dieses Gegenwartsaugenblicks sehr positiver oder erwartungsfreudiger Natur sein, was natürlich dem "Aufstehen" förderlich ist.
Eine jedoch eher negative Prägung oder Vorbelastung muss doch aber wie ein Gewicht wirken, das den Körper herabzieht, das Aufstehen "erschwert"- im Extremfall dieses als vollkommen sinnlos oder zumindest als leidvoll und somit zu vermeidend erscheinen lässt, wodurch der Drang entsteht dieses Leid zu meiden. Nun scheint es mir aber so, dass dieser nicht sehr stabile Mechanismus (allein schon wegen seiner Zeitabhängigkeit und Wandelbarkeit) nicht die Trag- oder Treibkraft hat eine sehr schwere Leidenslast (-prägung) zu bewegen.
Der Schlüssel zum Verständnis ist die Weitung des Sehkreises, die Erweiterung des Kontextes des Gegenwärtigen, Vergangenen und Zukünftigen. Es ist die Linie, die das Dunkel der Vergangenheit mit dem offenen Horizont der Zukunft verbindet, von Unendlichkeit zu Unendlichkeit, somit zeitlos in seinem Wesen und diese Linie ist der SINN, der alles verbindet, allem Richtung gibt.
Dieser ist das über den oben beschriebenen Mechanismus im Vergänglichen hin wirksam als innerer Kraftstrom oder Träger sozusagen der erwachenden Lebensschwingung. Was hier in der erweiterten Betrachtung mitspielt ist in Richtung Vergangenheit die karmische Last und die damit verbundenen Aufgaben und in Richtung Zukunft das Streben nach Höherentwicklung und Selbsterkenntnis ...
Es handelt sich also um eine "geprägte Form, die lebend sich entwickelt". (Goethe)
Diese Entwicklung ist multikausal zu sehen:
Nach Aristoteles läuft Zeit (hier bezogen auf den Entstehungs- und Werdeprozess eines Dinges) ja nicht einfach entlang einer Linie vorwärts oder rückwärts, ebenso wenig die Kausalität, heißt ein Vorgang hat nicht einfach eine ihm vorhergehende Ursache, sondern vier davon: eine Formursache, eine Wirkursache, eine Zweckursache und eine Zielursache (siehe „Aristoteles“).